Motorradfahrer
Zack durch den Stau
Die meisten Motorradfahrer schlängeln sich durch Staus auf Autobahnen, obwohl es verboten ist. Mit einer Petition versucht ein Biker die Staudurchfahrung zu legalisieren.
Aus juristischer Sicht ist die Sachlage klar: Motorradfahrern ist es verboten, bei Staus auf der Autobahn sich zwischen den Autos hindurchzuschlängeln. "Der Bundesgerichtshof und Oberlandesgerichte haben mehrfach entschieden, dass dies ein unzulässiger Überholvorgang ist", sagt Sven Schüler, Verkehrsreferent im Landespolizeipräsidium des Innenministeriums von Baden-Württemberg in Stuttgart.
Der Grund ist einfach: Motorradfahrer überholen somit rechts und halten häufig den Mindestabstand von einem Meter nicht ein – ein Verstoß gegen die Straßenverkehrsordnung. Das wird mit einer Geldbuße von 100 Euro belegt. 120 Euro muss zahlen, wer andere beim Überholvorgang gefährdet. Wird ein Unfall verursacht, kostet das 145 Euro. In allen drei Fällen gibt es zudem einen Punkt in Flensburg.
In Frankreich, Italien, den Niederlanden oder Großbritannien nimmt die Polizei das Durchschlängeln von Motorrädern im Stau hin, es bleibt ungeahndet. "Auch in Deutschland wird das Vorbeifahren zwischen Fahrzeugschlangen im Stau nicht zur Anzeige gebracht und von der Polizei toleriert", sagt Jürgen Berlitz, Referent für Straßenverkehrsplanung in der ADAC-Zentrale in München. Schüler aus dem Landespolizeipräsidium widerspricht dem.
Zurück bleibt eine erhebliche Rechtsunsicherheit – die sich dann auswirkt, wenn es zum Unfall kommt. Wenn ein Autofahrer im Stau eine Tür aufmacht, verstößt er gegen geltendes Recht, eine Rettungsgasse freizuhalten. Knallt ein Motorradfahrer beim Durchschlängeln in die Tür, hat auch er gegen ein Gesetz verstoßen. Wer ist schuld? "Ein solcher Fall wird über eine Haftungsverteilung geregelt, wobei die größte Last beim Motorradfahrer liegt", sagt Carsten R. Hoenig, Fachanwalt für Strafrecht in Berlin.
In voller Montur bei 35 Grad im Stau
Hoenig ist leidenschaftlicher Motorradfahrer und in 35 Jahren ein einziges Mal beim Durchschlängeln erwischt worden. "Ein Polizist auf dem Motorrad hat mich verfolgt und mir damals zehn Mark abgenommen." Nach seiner Meinung duldet die Polizei das Durchfahren von Staus aus Sachzwängen: "Sie kriegen die Täter nicht, weil es die völlige Ausnahme ist, wenn ein Polizist auf dem Motorrad hinter einem herfährt." Und selbst wenn sie das Kennzeichen haben, hilft das auch nichts, weil es keine Halterhaftung gibt. "Wenn der Halter sagt, dass er das Motorrad ausgeliehen hat, er aber nicht weiß, wer damit gefahren ist, kann er nicht belangt werden und die Sache wird eingestellt."
Bleibt die Rechtsunsicherheit – die Dieter Balboa lösen will. Der 49-Jährige kämpft dafür, die Staudurchfahrung für Motorräder per Gesetzesänderung zu legalisieren. Auf der Internetplattform Open Petition hat er im November 2014 eine Petition gestartet. Balboa wohnt in Offenbach und fährt täglich zur Arbeit in der Nähe von Heidelberg. Hin und zurück 208 Kilometer. Im Sommer legt er die Strecke oft mit dem Motorrad zurück, "aus Leidenschaft und weil es schneller geht".
Vor allem wenn Stau ist, wie fast jeden Tag auf der viel befahrenen A5. So wie an einem heißen Sommertag des vergangenen Jahres, auf der Höhe von Mannheim, bei 35 Grad. Balboa stellte sich in voller Montur mit seiner BMW hinten an. "Von rechts haben mir die Lkw Abgase unter den Helm geblasen, von unten heizten Asphalt und Motor. Die Temperaturanzeige meiner luftgekühlten GS stand knapp vor dem roten Bereich."
Mit dem unguten Gefühl, etwas Verbotenes zu tun, fuhr er langsam zwischen den Autos hindurch. Rücksichtsvolle Autofahrer machten ihm den Weg frei. Neidische fuhren in die Lücke und machten die Gasse dicht. "Das kennt man als Motorradfahrer." Eine Rettungsgasse freizuhalten ist aber Pflicht.
ADAC für Freigabe der Standspur für Motorradfahrer
Als Balboa zu Hause war, informierte er sich beim ADAC, wie denn die aktuelle Rechtslage ist. Und siehe da: Der Allgemeine Deutsche Automobil Club befürwortet eine Sonderregelung für Motorradfahrer im Stau, "weil stundenlanges Warten in Hitze oder Kälte zum Ermüden des Motorradfahrers führt und dadurch erhebliche Gefahren schafft", wie ADAC-Referent Berlitz erläutert. In Österreich zum Beispiel ist das vorsichtige Vorbeifahren am stehenden Verkehr erlaubt; das Befahren des Pannenstreifens ist allerdings auch dort verboten.
Der ADAC setzt auf die Freigabe der Standspur für Zweiradfahrer, weil dort ein ausreichender Seitenabstand gegeben ist. Die Motorradfahrer sollen allerdings mit gebotener Vorsicht vorbeifahren, und das auch nur an stehenden Fahrzeugen, nicht schon bei zäh fließendem Verkehr mit geringer Geschwindigkeit (20 km/h). Und die Autobahn müssen sie an der nächsten Anschlussstelle verlassen. "Es ist nicht sinnvoll, Motorradfahrer bis zur Unfallstelle vorzulassen, wo sie Rettungskräften dann im Weg sind", sagt Berlitz.
"Druck auf die Politik aufbauen"
Zuständig ist das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur in Berlin. Das teilt auf Anfrage mit: "Die Länder lehnen eine Änderung der Straßenverkehrsordnung zur Nutzung der Rettungsgasse durch Motorräder ab, weil zum Beispiel ein Kfz unerwartet den Fahrstreifen wechselt, beziehungsweise Autofahrer bei Stillstand aussteigen und die Fahrbahn betreten. Dadurch ergeben sich Gefahren und/oder Behinderungen."
Allerdings: "Sein Fahrzeug auf der Autobahn zu verlassen, ist ebenfalls verboten", sagt Schüler. Das gilt für alle Verkehrsteilnehmer, egal, welches Fahrzeug sie fahren. Wer gesetzeswidrig aus- oder absteigt, begeht eine Ordnungswidrigkeit. "Bei geringfügigen Ordnungswidrigkeiten hat die Polizei einen Ermessensspielraum und kann von einer Strafe absehen", sagt Schüler. Rein rechtlich würde diese Tat mit 30 Euro geahndet; eine geringfügige Ordnungswidrigkeit liegt bei Verwarnungsgeldern zwischen 5 bis unter 60 Euro vor.
120.000 Unterschriften braucht Balboa, damit Open Petition von den zuständigen Entscheidungsträgern eine Stellungnahme einfordert. Bis Mittwochvormittag hatte er beachtliche 92.409 Unterschriften von Unterstützern gesammelt. Rechtsanwalt Hoenig sieht die Petition allein als Mittel, "Druck auf die Politik aufzubauen. Es ist ein Mittel der Basisdemokratie".